Bericht
15. Außenwirtschaftsrechtstag 2010

15. Außenwirtschaftsrechtstag 2010 in Münster

Rechtsfragen der neuen Zollunion

Eine der ersten wissenschaftlichen Tagungen zu Rechtsfragen der neuen Zollunion fand in Münster am 14. und 15. Oktober 2010 statt: Der 15. Außenwirtschaftsrechtstag, den das am Institut für öffentliches Wirtschaftsrecht der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster angesiedelte Zentrum für Außenwirtschaftsrecht e. V. in diesem Jahr in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Haus für Wissenschaft und Innovation, dem Petersburger Dialog und dem Europäischen Forum für Außenwirtschaft, Verbrauchsteuern und Zoll e. V. veranstaltete.

Etwa 80 Gäste hatten sich im Freiherr von Vincke-Haus der Bezirksregierung Münster am Domplatz eingefunden, um dreizehn Referate zu hören und zu diskutieren. Die gesamte Konferenz wurde simultan deutsch-russisch und russisch-deutsch übersetzt. Der Direktor des Instituts für öffentliches Wirtschaftsrecht, Prof. Dr. Dirk Ehlers, führte in die Veranstaltung ein.

Zum 1. Januar 2010 traten ein einheitlicher Zolltarif sowie einheitliche nicht-tarifäre Regelungen in Kraft. Die Zolltarife wurden in der Mehrzahl auf das russische Niveau angehoben. Am 6. Juli 2010 wurde der Gemeinsame Zollkodex für Russland, Weißrussland und Kasachstan wirksam. Die Zollgrenze zwischen Russland und Weißrussland ist damit abgeschafft, jene zwischen Russland und Kasachstan soll zum 1. Juli 2011 fallen.

15. Außenwirtschaftsrechtstag 2010

Eines der Ziele der Unionsbildung ist die effizientere Zollabwicklung nach internationalen Standards, betonte der Leiter des Handels- und Wirtschaftsbüros der Botschaft der Russischen Föderation und Gesandte der Botschaft der Russischen Föderation in der Bundesrepublik Deutschland, Prof. Dr. Andrey Zverev, in seiner Eröffnungsansprache. In der Vorbereitung der neuen nationalen Zollgesetzgebung sei der ständige Dialog mit der Geschäftswelt das leitende Prinzip. Die große Linie der Zollunion können durchaus in Parallele zur europäischen Integration gesehen werden.

Einen Überblick über die Interessenlage der aktuellen und ehemaligen GUS-Staaten gab Prof. Dr. Alexey Avtonomov (Hochschule für Wirtschaft, Moskau). Er führte unter anderem aus, dass Georgien, die Ukraine, Moldawien und Aserbaidschan mit einem Beitritt zur Europäischen Union sympathisieren. Andere Nachfolgestaaten der Sowjetunion gehen eigene, zum Teil isolationistische Wege. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Vergrößerung der Zollunion über die derzeit drei Mitglieder hinaus mehr als fraglich.

Unklar ist, ob die Zollunion bereits eine supranationale Organisation darstellt. Prof. Dr. Alexander Kozyrin (Hochschule für Wirtschaft, Moskau) gelangte zu der Bewertung, dass es sich lediglich um eine „Quasi-Zollunion“ handele. Im Wortlaut des Zollkodexes fehle die programmatische Aussage, dass die Zollgesetzgebung vereinheitlicht werden soll. Zwischen dem nationalen russischen Recht und dem Recht der Zollunion gäbe es Zielkonflikte im Außenhandel, in der Währungskontrolle und im Steuerwesen.

Dr. habil. Sergey Korolev (Institut für Staat und Recht der Akademie der Wissenschaften, Moskau) wartete mit dem Befund auf, dass das Verfahrensrecht nach dem Konzept des Zollkodexes der Union Vorrang vor dem in diesem Regelwerk nahezu fehlenden materiellen Recht hat. Wie kann diese Lücke geschlossen werden? Schon eine Bindung des nationalen Rechts an die in der jeweiligen Verfassung niedergelegten Grundrechte ist nicht nur für die Zollpraxis keine Selbstverständlichkeit. Inwieweit dem Zollunionsrecht ein Grundrechtekatalog eingelesen werden kann, dürfte eine Herausforderung der Rechtsquellenlehre sein.

Dr. Grigory Talanov (Ernst & Young, Moskau) wies auf Schwachstellen der neuen Zollunion hin. Das geltende Ansässigkeitsprinzip bedeute, dass das russische Tochterunternehmen eines deutschen Unternehmens nur in Russland verzollen darf. Der Föderale Zolldienst plant ab dem 1. Januar 2011 die Einführung einer zwingend elektronisch erfolgenden Zollanmeldung. Die Frage sei, ob die technische Ausrüstung der Zollstellen dies zulassen wird.

Eine Ausrichtung des russischen Zollrechts an den Kodex der Union und die übrigen internationalen Abkommen wünschte sich Prof. Dr. Olga Bakaeva (Rechtsakademie Saratow). Die Praxis habe sich noch nicht auf das neue Recht eingestellt. Vor allem fehle auf Unternehmerseite das Vertrauen.

Von einer noch unvollkommenen Gesetzgebung sprach Dr. Irina Tkachenko (Russische Zollakademie, Moskau). Sie bezog ihre Kritik in erster Linie auf die zahlreichen Verweisungen aus dem Zollkodex der Union auf nationale Regelungen. Zu bedenken ist außerdem, dass Korruption eher bei einer unklaren Rechtslage gedeihen kann als bei Festlegung klarer Standards.

Prof. Dr. Galina Matvienko (Russische Justizakademie, Moskau) führte in die Prinzipien des internationalen und nationales Zollrechts ein. Den Stand der Harmonisierung im Bereich der nicht-tarifären Handelshemmnisse innerhalb der Zollunion stellte Alexey Vinogradov (Germanischer Lloyd AG, Hamburg) dar.

15. Außenwirtschaftsrechtstag 2010

Die Mitgliedstaaten der Zollunion sind sämtlich nicht Mitglied der Welthandelsorganisation. Besonders Russland hat einen Beitritt der Zollunion zur WTO thematisiert. Prof. Dr. Christoph Herrmann LL.M. (Universität Passau) ging der Frage nach, unter welchen Voraussetzungen eine Zollunion als solche durch das GATT anerkannt wird. Soll die Zollunion ausschließlich durch Staaten gebildet werden, die nicht WTO-Mitglied sind, kann die Zollunion zum Gegenstand der Beitrittsverhandlungen gemacht werden. Dr. Hasso Rieck LL.M. (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie) ging konkret auf die Frage der potentiellen Mitgliedschaft der neuen Zollunion in der WTO ein und beantwortete sie nach dem Stand der Dinge für die Eurasische Zollunion so, dass in erster Linie die drei Mitgliedstaaten der Zollunion Mitglied der WTO werden müssten.

In weiteren Länderberichten wurde der Stand der Umsetzung des Unionsrechts bzw. das Verhältnis des nationalen Rechts zum Unionsrecht geschildert: Zwischen dem Kodex der Zollunion und dem weißrussischen Zollrecht kommt es laut Dr. Gennadiy Brovka (Technische Universität Minsk) nicht zu Widersprüchlichkeiten. Kasachstan hat mit Wirkung ab dem 30. Juni 2010 einen neuen Zollkodex zur Angleichung an den Kodex der Union geschaffen. Prof. Dr. Sailaubek Alibekov (Ablai Khan-Universität, Almaty) referierte über die Änderungen der Rechtslage. Er betonte noch einmal die enorme fiskalische Bedeutung der Zolleinnahmen für die beteiligten Staaten.

Nach dem letzten Vortrag konnte der Dekan der Rechtswissenschaftliche Fakultät Münster, Prof. Dr. Hans-Michael Wolffgang, auf lebhafte Diskussionen im Plenum und interessante Gespräche am Rande der Tagung zurückblicken.

Es ist geplant, einen Tagungsband auf Deutsch und Russisch herauszugeben.